Lastverteilung

In meinem ersten Beitrag dieser Serie hatte ich die Schwerpunktlage des nackten, unbelasteten Ural cT Gespanns bezüglich des hier dargestellten Koordinatensystems ermittelt:

Schwerpunkt der nackten Maschine liegt bei [x, y, z] = [258, 556, 409] [mm]

Diese Berechnung(!) der Schwerpunktlage ist mathematisch exakt. Sie beruht auf überprüfbaren Fahrwerksdimensionen (Radstand = 1485mm, Spurweite = 1150mm, Vorlauf = 260mm), der Vermessung der einzelnen Radlasten per Personenwaage (Genauigkeit ca. 0.1 kg), und weiterhin auf bewährten mathematischen Verfahren und einfachen physikalischen Gesetzmässigkeiten (Grundrechenarten, Hebelgesetz, Momentengleichgewicht).

Dies ist Teil fünf einer bisher siebenteiligen Artikelserie zum Thema „Kippen“ bei Motorradgespannen

  1. Die Lage des Schwerpunkts beim Seitenwagen Gespann
  2. Preview auf den Nutzen von 3D-Koordinaten des Schwerpunkts
  3. Das Konzept der Radlastverlagerung / Unterstützungsfläche
  4. Verlagerung des Gesamtschwerpunkts, inkl.Fahrer, bei Steigung/Gefälle
  5. Einfluss von Zusatzlasten (Passagier, Gepäck) auf die Verlagerung des Gesamtschwerpunkts
  6. Überprüfung der theoretischen Aussagen im Fahrversuch
  7. Interaktiver 3D-Gespann-Simulator

Nun gibt es ähnlich bewährte mathematische Verfahren, den Gesamtschwerpunkt von beliebig vielen einzelnen Punktmassen zu berechnen, wenn deren Einzelmassen und deren x,y,z Koordinaten jeweils bekannt sind.

Mit dem nackten Gespann hatte ich angefangen, und dessen Schwerpunktskoordinaten sind nun bekannt. Check!

Ein leeres Gespann ist allerdings weitgehend sinnfrei. Für eine Gespannfahrt benötigt man zumindest noch einen Fahrer. Beifahrer oder Gepäck können wir vorläufig noch außer Acht lassen. Auch ein Mensch hat einen Schwerpunkt, welcher je nach Körperhaltung an unterschiedlichen Stellen relativ zu einem gedachten, körperfesten Koordinatensystem liegen kann. Die Biomechanik hat zu dessen Ermittlung einschlägige Modelle entwickelt. Wer meine Berechnungen verfeinern möchte, ist herzlich eingeladen sich hier einzubringen.

Bis dahin muss die Näherung genügen, nach der ein Mensch in sitzender Position einen Schwerpunkt etwa auf der Höhe seines Bauchnabels, und zwar ca. 5 cm davor, aufweist. Damit kann man die Schwerpunktposition des 82 kg Fahrers zu [0, 520, 980] [mm] annehmen und den neuen Gesamtschwerpunkt zu [X, Y, Z] = [208, 549, 519] [mm] berechnen. Check!

Durch Hinzunahme des Fahrers hat sich die vorherige Position des Schwerpunkts also um [-50, -7, 110][mm] zur neuen Gesamtschwerpunkt-position verlagert. Warum ist das so? Warum sind die Beträge je Achse unterschiedlich, und warum sind die Verschiebungen je Achse genauso groß wie sie sind?

Um das zu beleuchten werde ich zuerst die Wirkung dieser ersten Zusatzlast genauer betrachten, damit das Berechnungsverfahren verstanden wird, bevor dann weitere Zusatzlasten und deren Auswirkung als verständlich vorausgesetzt werden können.

Es hilft, sich klar zu machen, daß die Masse des Fahrers ( z.B. 86 kg) ziemlich genau ein Viertel der Masse des nackten Gespanns (343 kg) ausmacht. D.h., daß die Masse des Fahrers den bisherigen Schwerpunkt je Achse [X, Y, Z] nur zu einem Fünftel des Abstands zwischen bisherigem Gesamtschwerpunkt (ohne Fahrer) und Fahrerposition ver»ziehen» kann.

Zuerst war die Rede von einem Viertel, nun von einem Fünftel. Kein Schreibfehler. Hm. Ich glaube, hier ist eine Illustration fällig:

Einzelmassen orange, Gesamtmasse blau; Gespann (leer: 343kg) rechts, Fahrer (86 kg) links; Kreisflächen sind proportional zur jeweiligen Masse

Den Fahrer habe ich diesmal mit 86kg etwas schwerer gewählt, damit er möglichst genau ein Viertel der Masse der leeren Ural auf die Waage bringt. Man kann festhalten, dass der neue Gesamtschwerpunkt sich auf einer geradlinigen Verbindung zwischen den Positionen der jeweiligen Einzelmassen befindet. Man kann sogar das Momentengleichgewicht am Werk sehen: der neue Gesamtschwerpunkt (Fahrer plus leere Maschine, blau) bildet eine momentenfreie Zusammenfassung der an den jeweiligen Hebelarmen mit Längen «1» und «4» wirkenden Massenkräfte

343 kg * g * 1 = 86 kg * g * 4

Der Hebelarm der Fahrermasse ist viermal so lang wie der Hebelarm der leeren Maschine, um den Umstand auszugleichen, dass der Fahrer nur ein Viertel des Maschinengewichts mitbringt. Da der neue Gesamtschwerpunkt sich zwingend zwischen beiden Einzelmassen befindet, muss die Distanz zwischen beiden Einzelmassen im Verhältnis 4 : 1 aufgeteilt werden, was eine Gesamtdistanz = 5 bedeutet. Voilà!


An dieser Stelle ein kleiner Einschub: wie man in der X-Z Ebene (unteres Diagramm) sehen kann, «zieht» die Masse des Fahrers den Gesamtschwerpunkt sowohl nach oben, als auch dichter an die Kipplinie (Y-Achse) heran. Beides ist für die Kippstabilität ungünstig. Also kann man messerscharf schliessen:

Ein schwerer Fahrer richtet mehr Schaden für die Kippstabilität an, als ein leichter Fahrer! Auch dieser Effekt ist berechenbar:


Das obige Verfahren kann man beliebig oft auf weitere Zusatzlasten anwenden. Z.B. auf einen Passagier im Boot, einen Passagier auf dem Soziussitz, Gepäck im Kofferraum, etc.. Nehmen wir den häufigsten Fall eines Passagiers im Beiwagen:

Da die Gesamtmasse von Maschine und unserem Beispiel-Fahrer (86kg) bereits 429 kg beträgt, bringt ein Beispiel-Passagier von 61 kg nur ziemlich genau ein Siebtel der bisherigen Gesamtmasse als Mitgift mit ins System. Entsprechend mickrig fällt sein Beitrag zur Verlagerung des Gesamtschwerpunkts aus:

Einzelmassen orange, Gesamtmasse blau; Gespann+ Fahrer (429 kg) links, Passagier (61 kg) rechts; Kreisflächen sind proportional zur jeweiligen Masse

Die weit neben der Y-Achse (= Kipplinie in Rechtskurven) liegende Zusatzmasse des Passagiers ist selbstverständlich für die Kippstabilität in Rechtskurven grundsätzlich förderlich – allerdings weit weniger, als landläufig angenommen und behauptet (speziell die Erläuterung zu Abbildung 3 im verlinkten Artikel) wird. Denn der Passagier trägt nur ein weiteres Siebtel zur bisherigen Gesamtmasse bei, weshalb von der grossen Einzelschwerpunktdistanz leider nur ein Achtel in der Verlagerung des Gesamtschwerpunkts weg von der Kipplinie wirksam wird (X-Koordinaten vergrössert sich).

Nicht so schön ist, dass durch Hinzunahme eines Passagiers im Boot der Gesamtschwerpunkt auch um weitere rund 15mm in die Höhe wandert (Z-Koordinate vergrössert sich). Also nach Möglichkeit dem Passagier nicht auch noch zusätzliche Kissen o.ä. unterlegen 😉

Die Quintessenz auf einen Blick (Fahrer solo: rot; Fahrer und Passagier: blau):

Mit Passagier im Boot wandert der Gesamtschwerpunkt gegenüber dem Solo-Fahrer weiter nach (in Fahrtrichtung) rechts. Das ist noch trivial. Die Kippgrenze wird jeweils bei den folgenden Querbeschleunigungen erreicht:

Solo-Fahrer 0.394 g
Solo-Fahrer mit Passagier 0.490 g

Zum Schluss noch die Auswirkung auf die mögliche Fahrgeschwindigkeit auf der Kippgrenze, in Abhängigkeit vom Kurvenradius:

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