Interaktiver 3D Motorrad Gespann-Simulator


Nach einer kleinen Klausur und diversen Weiterentwicklungen hat mein Interaktiver 3D Motorrad Gespann-Simulator inzwischen fortgeschrittene Präsentationsreife erreicht 😎 .

Meine Artikelserie zur Kippstabilität von Motorrädern mit Seitenwagen („Gespanne“) wird hier in grafischer Form zusammengefasst:

Anklicken zum Aufruf des Interaktiven 3D Gespann-Simulators

Update 05.09.2020: Inzwischen gibt es auch eine Anwender-Dokumentation hierfür.

Um die Ideen hinter dem Gespann-Simulator für Neueinsteiger kurz zusammenzufassen:

  • Die Reifenaufstandspunkte der drei Räder eines Gespanns bilden die Eckpunkte einer dreieckigen Aufstandsfläche, auf der das Gespann steht, bzw. rollt. Im Simulator als grünes Dreieck dargestellt.
  • Solange die Resultierende aller auf das Gespann einwirkenden Kräfte durch die Aufstandsfläche zeigt, ist das Gespann kipp-stabil. Falls die Resultierende auf einen Punkt ausserhalb der Aufstandsfläche zeigt, kann das Gespann über die nächst-gelegene Kante der dreieckigen Aufstandsfläche kippen.
  • Die Resultierende aller Kräfte darf man sich am Gesamtschwerpunkt von Gespann und Fahrer (plus ggf. Beifahrer, Ladung etc.) angreifend vorstellen. Berücksichtigt werden hier Gewichtskräfte und Trägheitskräfte aufgrund von Längsbeschleunigung (Beschleunigen, Bremsen) sowie Querbeschleunigung (Kurvenfahrt).
  • Die Lage des Schwerpunkts des leeren Gespanns wurde bei Kenntnis der Fahrwerksgeometrie (Radstand, Spurweite, Vorlauf) und der gemessenen Radlasten jedes einzelnen Rads ermittelt. Die Höhe des Schwerpunkts ab Boden per Kippversuch, auf einem nahe gelegenen Parkplatz.
  • Die Schwerpunktsverlagerung beim Aufsitzen von Fahrer und ggf. Passagier lässt sich von hier aus berechnen.
  • Die möglichen Auftreffpunkte der Resultierenden auf den Boden werden im Simulator durch einen Scheinwerfer mit kreisförmiger Austrittsfläche auf dem Boden ausgeleuchtet, für eine angenommene (Längs- und Quer-) Gesamtbeschleunigung von „1 g“. Im Simulator durch einen hellen Kegel mit Öffnungswinkel 90° dargestellt, dessen Spitze sich an der ermittelten Schwerpunktsposition befindet. Die Auftrefffläche der kegeligen Ausleuchtung ist als „Zielscheibe“ ausgebildet, mit einer Breite je Ring entsprechend 0.1 g.
  • Die Anteile der ausgeleuchteten Kreisfläche, welche über die dreieckige Aufstandsfläche hinausragen, stellen Fahrzustände dar, in denen das Gespann ohne Korrektur durch den Fahrer kippen würde.

In der vorliegenden Version 2.02 des Simulators kann man für „generische“ Gespanne innerhalb vernünftiger Grenzen interaktiv die folgenden Parameter verändern:

  • Fahrwerksgeometrie (Radstand, Spurweite, Vorlauf)
  • Radlasten (vorne, hinten, Seite)
  • Schwerpunkthöhe
  • Fahrer (Masse und Position)
  • Beifahrer Boot (Masse und Position)
  • Sozius (Masse und Position)
  • zwei frei positionierbaren Zusatzlasten (z.B. für Umbauten, Gepäck)
  • Auswirkung von Steigung/Gefälle
  • Auswirkung von Breitreifen

Man erhält als Ergebnis die jeweilige Lage des Gesamtschwerpunkts «CG» (Center of Gravity), sowie die «virtuelle Ausleuchtung» der Unterstützungsfläche, als Maß für die Sicherheit gegen Kippen bei Kurvenfahrt und/oder Längsbeschleunigung .

Die voreingestellten Werte für Fahrwerksgeometrie, Fahrer- und Passagierposition(en) sowie Radlasten gelten für eine Ural cT «Transsib» respektive für ein Ducati Kneeler Renngespann (im Bildschirmmenü über den Punkt «Gespann» im «Presets»-Reiter umschaltbar).

Das freie «Spielen» kann man gleich im aufgeklappten «Fahrer»-Menu beginnen. Ich empfehle für den Start, die Checkbox «Helper anzeigen» zu markieren, wie im obigen Screenshot abgebildet, und zunächst nur mit Fahrermasse und -Position zu experimentieren. Man kann sich die farbigen Kugeln und Linien wie ein Mobilè vorstellen, bei dem der Aufhängungspunkt durch den gelben Gesamtschwerpunkt markiert ist.

Die Auswertung kann man bequem anhand des nachfolgenden Diagramms vornehmen, welches den Zusammenhang zwischen Fahrgeschwindigkeit, Kurvenradius und der jeweils wirkenden Querbeschleunigung anzeigt:

Wer konkrete Ergebnisse für ein bestimmtes Gespann sucht, sollte im Simulator insbesondere die Menüs «Fahrwerk», «Radlasten» und Schwerpunkthöhe» von oben nach unten der Reihe nach durchgehen und die entsprechenden Einstellungen vornehmen.

Das «Bereifung»-Menü beeinflusst die Darstellung der Reifen, sowie die Auswirkungen von Breitreifen auf die Aufstandsfläche des Gespanns, und wird seit Version 2.02 auch im Kippversuch berücksichtigt, hat also auch entsprechende Auswirkungen auf die Berechnung der Schwerpunktlage!

10 Gedanken zu „Interaktiver 3D Motorrad Gespann-Simulator“

  1. Sieht gut aus. Wir, 3radler-Forum, diskutieren das gerade. Ich hab diese Seite auch im 2-ventiler, in die Gespannabteilung verlinkt.

    Ich würde mir aber eine Erklärung der eingebaren Werte für Fahrer/Beifahrer, wünschen. Mir ist bis auf’s Gewicht, nicht klar, ob da Schuhgröße oder Was-auch-immer, einzutragen ist.

    Ansonste, gut gemacht.

    1. Stephan, freut mich, daß Idee und Realisierung auch kritischen Blicken standhalten. Die Anregung bezüglich Anwenderdoku ist dankend aufgenommen und wird in Kürze hier verlinkt.

  2. Hallo Chris,
    eine feine Arbeit, das parameterabhängige 3D-Model erlaubt eine schnelle Überprüfung oder Korrektur des statischen Gespannaufbaus. Deine Idee der Ergänzung durch weitere Zuladungsschwerpunkte finde ich gut und möchte dich hiermit motivieren, in dieser Weise weiterzumachen. Es wird uns Anwendern schon vor der Fahrt zeigen, wie sensibel ein Gespann auf diese Dinge reagieren kann.

    1. Hallo Olaf, im Zuge der Entwicklung des Simulators ist mir folgendes klar geworden:
      1. das leere Gespann hat eine konstruktiv vorgegebene Schwerpunktlage, welche schwer zu verändern sein dürfte.
      2. der größte «Schaden» für die Kippstabilität in Rechtskurven entsteht bereits in dem Moment, in dem der Fahrer auf die Maschine steigt. Weil er nämlich den bisherigen Schwerpunkt sowohl nach oben zieht, als auch dichter an die Kippachse in Rechtskurven heran. Die wirksamste, preiswerteste aber vermutlich am schwersten zu realisierende Tuning-Maßnahme zur Verbesserung der Kipp-Stabilität in Rechtskurven liegt daher im Abspecken des Fahrers.
      3. ein Beifahrer im Boot zieht den bisherigen Gesamtschwer wieder etwas in die Mitte zurück, aber zumindest bei meiner Ural immer noch etwas weiter nach oben. Inzwischen haben wir selbst bei meinem vergleichsweise leichten Gespann bereits rund eine halbe Tonne Gesamtmasse.
      4. Natürlich kann man eine weitere Zusatzmasse (Gepäck) von z.B. 20 kg günstig oder ungünstig platzieren. Aber die meisten wären vermutlich überrascht, wie _wenig_ ein 20 kg-Schwanz mit einem 500 kg-Hund zu wackeln vermag.
      5. und da hier gelegentlich von «statisch» und «Verhalten des Fahrers» die Rede ist: ein klassisches Hanging-Off werden vermutlich die wenigsten auf einem Straßen-Gespann praktizieren. Den Effekt eines sich mit dem Oberkörper in die Kurve legen, oder meinetwegen auch noch mit dem Hintern ein wenig nach rechts oder links rutschen kann jeder per Variation der «F-Xpos» simulieren. Der Simulator meint jedenfalls, daß das kaum nennenswert etwas bringt.

      P.S.: ein oder zwei frei platzierbare Zusatzmassen werde ich aber noch nachrüsten. Ich hatte bis letzte Woche nur noch nicht mit derartigem Interesse gerechnet.

  3. Hallo, nachdem ich diese Seite entdeckt habe, habe ich natürlich auch etwas mit dem 3D Simulator gespielt… Es ist wirklich interessant wie sich die Einstellungen auswirken und die Schwerpunktverschiebung deutlich wird.
    Wäre es nicht toll, das Ganze in einer App zu haben welche mit kartographischen Daten interagieren könnte. Ich stelle mir vor, ich gebe vor einer Gespannausfahrt die Route ein und konfiguriere den Beladungszustand bei Abfahrt. Die App könnte mir dann auf meiner Route für jede Kurve eine Geschwindigkeitsempfehlung ausgeben. (Der worst case bzw. die engste Linie könnte dazu evtl. herangezogen werden)
    Ich beschäftige mich aktuell mit diesen Theorien, obwohl ich (noch) keine Gespann besitze. Die Fahrphysik dahinter finde ich jedenfalls spannend und kenne auch die gängige Literatur zu dieser Problematik. Allerdings die Beleuchtung dieses Themas durch Chris Seite mit den Spielmöglichkeiten, finde ich noch einen oben drauf.
    Weiter so!

    1. René, schön daß Du so begeistert bist. Die Vorausplanung einer Tour auf dieser Detailstufe mittels einer App halte ich nicht für dringlich – dafür passieren unterwegs zuviele unvorhergesehene Dinge. Aber lass Dich nicht abhalten und melde Dich, wenn Du etwas vorzuzeigen hast 😉
      Zweitens wird man nicht permanent «am Limit» unterwegs sein wollen, bzw. wird das nicht dauerhaft gut ausgehen ;-). Und drittens hat man unterwegs gar keine Zeit, eine Handy-App abzulesen. Das Schöne an der Fahrphysik ist zum Glück, daß für einen gegebenen, und während der Fahrt konstanten Beladungszustand die Kippgrenze in Rechtskurven immer(!) bei gleich starkem Zug/Druck am Lenker erreicht wird, unabhängig von Kurvenradius und/oder Bahngeschwindigkeit. Und das Gefühl dafür hat man nach einer Weile einfach «drin», ohne irgendwo etwas abzulesen zu müssen.
      Ich habe es mir z.B. zur Gewohnheit gemacht, bei wirklich jeder Fahrt auf den ersten paar hundert Metern durch einen kurzen Zug am Lenker mitsamt «Lupfen» des Beiwagenrads dieses Gefühl immer wieder frisch zu kalibrieren.

  4. I am a rather new rider to the sidecar scene. I have been on two wheels for approx. 56 years and decided to try a side car rig as a portion of my bucket list. I purchased a 1985 BMW K100 RS with rather low miles but completely refurbished it in 2017. I then purchased a 1978 Vetter Terraplane sidecar and with the proper hardware and a complete rebuild attached it to my K. I have spent the last 8 months learning how to pilot this rig and am very happy with it. I was interested in your presentation and after reading the entire +presentation I plugged the weights and measures into the team simulator and it looks like I have created a stable rig. Thank you for this presentation as it gives me a greater understanding of the handling dynamics of my rig and has enlightened me on the pitfalls of speed versus cornering.

    1. Craig, glad to hear you found my simulator useful. Would you care to send me the data of your rig: wheel loads, chassis dimensions and tipping angle? If possible, along with a picture of your rig? You could forward those data via email to me: chris@vielzutun.ch

      Over time, I would like to collect (and publish) a database of different rigs, along with their relevant properties, so everyone could relate as to where his own rig falls within the gamut of possibilities.

  5. Hallo Chris,
    Du bist mir immer noch als profunder Techniker in Erinnerung!
    Mein Anliegen: Vor einiger Zeit habe ich ein Gespann-Sicherheitstraining begleitet. Erkenntnis: Das Bremsen ist ein Riesenproblem. So habe ich einen Beitrag über das Bremsen mit dem Gespann erstellt, der im Herbst in der Gespannfahrerzeitschrift erscheinen soll. Da ich «nur» ein Schreiberling und Gespannfahrer bin, aber kein Techniker, möchte ich Dich fragen, ob Dich das doch recht komplexe Thema interessiert. Gerne würde ich Dir meinen Text mal zusenden, vielleicht siehst Du Optimierungsbedarf oder kannst mich auf eventuelle Denkfehler hinweisen.
    Beste Grüße
    Bernhard
    – – –
    Tel.: 06298 928980

    1. Hallo Bernhard,
      Deine Anfrage ist für mich ein Kompliment und eine Ehre, Schicke mir doch Dein Manuskript einmal unverbindlich zu, und ich werde das gerne und wohlwollend-kritisch kommentieren, natürlich nicht hier im Blog sondern per privater email oder Telefonat.
      Für die Zusendung kannst Du gerne. chris@vielzutun.ch verwenden.
      Ich freue mich!
      Beste Grüsse,

      Chris

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