Testastretta Kühlsystem

Daß man als Mensch in dieser Jahreszeit über Kälte klagt, ist durchaus erwartbar. Daß Ducati Testastretta Motoren nicht auf Temperatur kommen, verdient hingegen einen näheren Blick.

In seine Bestandteile zerlegtes Serien-Thermostat von wassergekühlten Ducati Testastretta-Motoren

Immerhin ist deren Kühlkreislauf (von der 1098er (’07 bis ’11) über die Monster 1200* (’14 bis mindestens ’20) bis hin zur Multistrada (1200 ’10 bis 1260 ’20) mit einem Thermostaten ausgestattet, welcher für die genannten Baureihen immer die exakt gleiche Ersatzteilnummer (55340041A) aufweist. Ducati scheint also innerhalb von mindestens 13 Jahren keinen Anlass gesehen zu haben, dieses Bauteil etwa wegen mangelnder Zuverlässigkeit auszutauschen. Ich halte das für eine bemerkenswerte Konstanz!

Woran kann es also liegen, daß der Kühlkreislauf trotzdem immer wieder Anlass zu Beanstandung gibt?

Ich habe das in 2016, als ich meine Monster 1200S frisch hatte, relativ gründlich untersucht. Habe mir ein gebrauchtes Thermostat gekauft, dieses zerlegt und detailliert vermessen:

Das wesentliche Ergebnis von damals lautet, daß die Monster 1200 Baureihe einen überdimensionierten und ungeregelten «Kleinen Kühlwasserkreislauf» aufweist. Durch den Kleinen Kühlwasserkreislauf zirkuliert ein Teil-Volumenstrom, solange das Kühlwasser noch nicht warm genug ist um den Thermostaten zu öffnen und den Haupt-Kühlwasserstrom durch den Kühler freizugeben.

Um das zu belegen, muss man sich zunächst den regulären Kühlwasserkreislauf anschauen. Am besten anhand einer technischen Skizze, für die ich mich schamlos bei www.oemducati.com bediene, die sich ihrerseits vermutlich ähnlich schamlos bei Ducati selbst bedient haben.

Wohlan:

Kühlkreislauf einer Ducati Monster 1200S aus 2018

Quelle: www.oemducati.com

Im Normalfall, Motor betriebswarm, strömt gekühltes Wasser vom Kühler-Rücklauf durch den Schlauch (16) in die Wasserpumpe, und wird von dort über zwei dünnere Schläuche jeweils an den Fußpunkten von liegendem und stehendem Zylinder in die zu kühlenden Bereiche des Motors eingespeist. Der Rücklauf des erhitzten Wassers aus dem stehenden Zylinder erfolgt aus dem Stutzen (2) am Kopf des stehenden Zylinders über den Schlauch (12) in das Kopfende des Thermostaten (13). Der Rücklauf des erhitzten Wassers aus dem liegenden Zylinder erfolgt aus dem Stutzen (8) am Kopf des liegenden Zylinders über den Schlauch (5) in den seitlichen Eingang des Thermostaten(13).

Wenn der Motor betriebswarm ist (> 60°C), ist das Thermostatventil (13) geöffnet, und das erhitzte Wasser aus beiden Zylindern strömt durch Schlauch (17) in den Kühler, womit der Kreislauf geschlossen ist. So weit – so gut.

Nun gibt es ein paar Sonderfälle:

Wenn der Kühlkreislauf des Motors erstmalig oder nach einer größeren Revision mit Kühlwasser befüllt wird, müssen alle kühlwasserführenden Bereiche vollständig mit Kühlflüssigkeit gefüllt werden. Da Luft eine wesentlich geringere Wärmeleitfähigkeit besitzt als Kühlflüssigkeit, muss dafür Sorge getragen werden, das keine Luftblasen im System verbleiben. Anderenfalls droht lokale Überhitzung.

Luftblasen sammeln sich typischerweise am höchsten Punkt eines Systems. Deshalb gibt es den dünnen Abzweig am Schlauch (5), welcher evtl. Luftblasen des liegenden Zylinders über den Stutzen (25) aus dieser Zeichnung abführt, und zwar gemeinsam mit Schlauch (5) aus obiger Zeichnung, welcher in Strömungsrichtung _vor_ dem eigentlichen Ventil ins Thermostatgehäuse (13) mündet. Der verändert also regelungstechnisch nichts.

Evtl. Luftblasen aus dem stehenden Zylinder werden über den an Stutzen (2) ansetzenden «Entlüftungsschlauch» (11) (breather pipe) direkt in den Kühler eingeleitet. Und zwar unter Umgehung (Bypass!) des Thermostatventils (13).

Es ist dieser ungeregelte, permanente Volumenstrom durch den Schlauch (11), welcher die Thermostat-gesteuerte Regelung aus dem Tritt bringt. Dieser offenkundig nicht zu vernachlässigende Volumenstrom wird bei Aussentemperaturen um den Gefrierpunkt durch den Kühler derart herunter gekühlt, daß die Systemtemperatur unterhalb der Schaltschwelle des Thermostatventils (60°C) bleibt.

Wie geschieht dies im Einzelnen?

Die Temperaturerfassung für die Anzeige im Dashboard geschieht elektronisch über den Sensor (6), welcher unmittelbar in den Stutzen (8) am liegenden Zylinderkopf eingeschraubt ist. Die Lüfteransteuerung wird hierüber ggf. ausgelöst.

Das Thermostatventil (13) weiss von alledem nichts, und wird rein mechanisch, durch die Volumenzunahme beim Phasenübergang (fest-flüssig) des Wachses im eingebauten Thermoelement betätigt. Dazu muss es lange genug von genügend heisser Kühlflüssigkeit umspült werden. Damit eine derartige Umströmung bei geschlossenem Thermostatventil überhaupt stattfinden kann, weist der Ventilteller des Thermostatventils (13) an seinem Umfang ab Werk eine kleine Kerbe auf, geschätzt maximal 2 mm2 Querschnitt, und erlaubt so einen permanenten minimalen Leck-Volumenstrom durch das ansonsten geschlossene Thermostatventil.

Eingebaute «Kerbe» am Umfang des Ventiltellers des Thermostateinsatzes; die Feder wurde für eine bessere Übersicht entfernt.

Im Kühlsystem stellt sich im stationären Betrieb eine Gleichgewichtstemperatur in dem Moment ein, in dem die produzierte Abwärmeleistung des Motors gleich der abgeführten Leistung des Kühlers ist. Nun ist das Motorradfahren aber keine stationäre Angelegenheit, abgesehen von längeren Autobahnetappen mit konstanter Geschwindigkeit. Sondern es überwiegen in weiten Bereichen variable Drehzahlen, Lastzustände, Fahrgeschwindigkeiten und Aussentemperaturen.

Grundsätzlich ist es so, daß die Gleichgewichtstemperatur auf ein tieferes Niveau absinkt, wenn mehr Wärme vom Kühler abgeführt wird als vom Motor geliefert wird. Und umgekehrt steigt die Gleichgewichtstemperatur auf ein höheres Niveau an, wenn vom Motor mehr Wärme geliefert wird als der Kühler bei der gegebenen Temperatur abführen kann.

Die produzierte Abwärmeleistung des Motors hängt im wesentlichen von der verbrannten Kraftstoffmenge ab, ist also sowohl von Drehzahl als auch Last abhängig und kann daher vom Fahrer beeinflusst werden.

Die abgeführte Leistung des Kühlers hängt vom Volumenstrom der Kühlflüssigkeit, der Geschwindigkeit des Fahrtwinds, der Kühlerstirnfläche und von der Eintrittstemperaturdifferenz zwischen Kühlflüssigkeit und Umgebungsluft ab, um einmal die wichtigsten Parameter zu nennen.

Hier beispielhaft die Ergebnisse einer Kühlervermessung auf einem speziellen Kühler-Prüfstand. Hinweis: das Beispiel zeigt vermutlich keinen Ducati-Kühler!

Abhängigkeit der Kühlleistung von Kühlwasserstrom, Luftgeschwindigkeit und Eingangstemperaturdifferenz Kühlflüssigkeit/Luft

Quelle: http://igszwickau.de

Man erkennt sehr schön, daß die Kühlerleistung bei Leerlaufdrehzahl (geringste Durchströmung mit Kühlflüssigkeit) und wenig Fahrtwind auf nahezu Null abfällt. Bitte beachten, daß die Kühlerleistung pro Grad Eingangstemperaturdifferenz zwischen Kühlflüssigkeit und Fahrtwind angegeben ist. Niedrige Aussentemperaturen führen so zu einer hohen Eingangstemperaturdifferenz, und erhöhen die Kühlerleistung über die vom Motor gelieferte Abwärmeleistung ==> die Motortemperatur sinkt tiefer als wir das wollen.

Ich habe bei meinen Versuchen in 2016 bei Aussentemperaturen um den Gefrierpunkt reproduzierbar festgestellt, daß niedrigste Drehzahlen(!) den Volumenstrom durch den Kühler derart zusammenbrechen lassen, daß ich innerhalb weniger Sekunden die elektronisch erfassten Temperaturen um 10° nach oben treiben konnte, unabhängig von der gefahrenen Geschwindigkeit. Umgekehrt konnte ich bei konstanter Geschwindigkeit durch mehrmaliges Herunterschalten die Drehzahl (und damit den von der Wasserpumpe geförderten Volumenstrom) derart in die Höhe treiben, daß die ansteigende Kühlerleistung die Motortemperatur innerhalb weniger Sekunden bis in den «Low»-Bereich fallen ließ.

Die Kehrseite der Medaille:

Stop&Go im Hochsommer. Geringe Drehzahl, geringer Volumenstrom an Kühlflüssigkeit durch den Kühler, kaum Anströmen durch ohnehin warmen Fahrtwind (geringe Eingangstemperaturdifferenz) ==> minimale Kühlleistung. Der Motor wird heiss, die Lüfter springen an, aber wegen minimalem Durchfluss verbleibt das durch die Lüfter gekühlte Kühlwasservolumen im Kühler und erreicht die Hotspots im Motor nicht. Ganz schlecht! Auch wenn es der Intuition in einer derartigen Situation widerspricht:

Hier muss man mit gezielten Gasstößen die Zirkulation derart antreiben, das das durch die Lüfter abgekühlte Kühlwasservolumen auch in den Motor zurück gelangt und das erhitzte Kühlwasser aus den Köpfen zu den Ventilatoren gelangen kann.

Was also tun?

Ich habe seinerzeit mehrere Versuche unternommen, den Kühlkreislauf meiner Monster auf einen echt geregelten Bypass-Thermostaten umzustellen. Und zwar durch Konstruktion eines Gehäuses, welches ein Zweiwege-Ventil enthält, welches stufenlos zwischen kleinem und großen Kreislauf umschaltet. Von Mahle gibt es ein sehr informatives Video zur gewünschten Funktionsweise. Ich bin allerdings seinerzeit an meinen mangelnden Fertigungsmöglichkeiten gescheitert, aber werde vielleicht demnächst doch noch einen weiteren Versuch unternehmen, möglicherweise per 3D-Druck. (Don’t hold your breath!) 😉

Bis dahin behelfe ich mir mittels einer schon seit drei Jahren bewährten Kühlerblende aus Alu-Blech, Wetter- und temperaturbeständig, die während der kalten Jahreszeit die effektiv im Fahrtwind liegende Kühlerfläche reduziert und so die maximale Kühlleistung in sämtlichen Fahrzuständen reduziert – auch für den ansonsten überdimensionierten «kleinen» Kühlwasserkreislauf.

Update 23.02.2021: Heute habe ich die vorfrühlingshaften Temperaturen, unterstützt durch meine elektrisch beheizte Jacke/Handschuhe 😎 genutzt für eine ausführliche Patrouille durch’s Toggenburg und Teile des Appenzell. Auf der Anreise per Schnellstraße/Autobahn hat sich bei montiertem obigem «Schutzblech» und konstant ca. 110 km/h und Lufttemperatur +6° eine Kühlwassertemperatur von 75° eingestellt, also top! Später, bei konstant etwa 120km/h und inzwischen ca. 10° Aussentemperatur hatte ich eine Kühlwassertemperatur von ca. 85°. Immer noch sehr gut, aber hier fängt es an, kritisch zu werden. Wenn nun, nach Verlassen der Autobahn, Ampelstops oder Stop&Go Verkehr dazu kommen, ist man ganz schnell in den hohen Neunzigern oder sogar anspringendem Lüfter.

Die genannten Temperatur und Geschwindigkeitswerte wurden übrigens bei einem zu 100% abgedeckten Ölkühler ermittelt:

Ölkühlerabdeckung aus 0.7 mm Alu-Blech; Form des Blechs, sowie Lage der Bohrungen ergeben sich aus dem Fußabdruck des serienmäßigen Ölkühler-Schutzgitters

Das Wasserkühler-Abdeckblech, welches die effektiv im Fahrtwind stehende Kühlerfläche von netto (abzüglich seitliche Wasserkästen) 30 cm * 19 cm auf weniger als 30% verkleinert, und zwar die wegen der dahinter befindlichen Lüfter am schlechtesten durchströmten 30%, ist ganz klar nur für einstellige Temperaturen geeignet, und wenn man sicher sein kann, immer in Bewegung bleiben zu können. Dieses Blech ist eine schlechte Krücke, die einen permanenten Blick auf die Wassertemperaturanzeige erfordert! Es führt tatsächlich kein Weg an einem vernünftigen Thermostaten vorbei.

P.S.: es gibt allerdings auch schon fix&fertige derartige Bypass-Thermostate für Motorräder, z.B. von Aprilia. Sind ja auch Italiener, insofern hätte ich da keine Berührungsängste. Ich behalte das jedenfalls im Hinterkopf.

Update 10.03.2021:

Schon realisiert. 😎

5 Gedanken zu „Testastretta Kühlsystem“

  1. Danke für den interessanten Artikel.
    Mich erstaunt, dass so einfache Technik in diesem Bereich zum Einsatz kommt. Ist es so, dass die Wasserpumpe voll gegen das geschlossene Thermostatenventile arbeitet und sozusagen Leistung verbratet?
    Ich glaube, dass die Kühlung ein systemkritischer Aspekt ist und frage mich ob es im Ölkühler Kreislauf auch so rudimentär zu und hergeht?

    1. Angesichts der Preise die Ducati aufruft, ist die Primitivität dieser Lösung in der Tat mehr als peinlich für Ducati, und ärgerlich für den Käufer. Die Wasserpumpe läuft fest mit halber Kurbelwellendrehzahl, aber sie arbeitet nicht ganz «hart» gegen ein geschlossenes Thermostatventil. Da gibt es zum einen den gewollten Leckstrom durch die winzige Kerbe im Ventilteller des Thermostaten, zum anderen den ungeregelten Bypass (breather pipe) aus der Entlüftung des stehenden Zylinders. Aber ganz klar: die Wasserpumpe arbeitet bei geschlossenem Thermostaten gegen einen unnötig hohen Widerstand.

      Andererseits die Ölpumpe: die muss einen Öldruck aufbauen, und weist ihrerseits ein federbelastetes Überdruckventil auf. Ich halte das für technisch korrekt.

      Übrigens habe ich gerade heute den Wasserkühlkreislauf umgebaut auf einen echten Bypass-Thermostaten, der zwischen einem Kleinen Kühlkreislauf (Umwälzung im Motor) und einem Großen Kühlkreislauf (Hauptstrom durch den Kühler) stufenlos hin und her regelt. Der erste «Smoke-Test» (bzw. «Steam-Test») mit Aufwärmen im Leerlauf bis zum Anspringen der Lüfter verlief vielversprechend – jedenfalls war alles dicht. Nach einer Erprobung unter realen Bedingungen schreibe ich dazu in den nächsten Tagen noch einen Fortsetzungsartikel zu diesem hier. Derzeit haben wir ja morgens noch Temperaturen um den Gefrierpunkt, das sind also ideale Testbedingungen.

      1. Die Ducati hat einen Ölkühler. Ist der nicht auch mit einem Thermostaten erst bei Bedarf in den Ölkreislauf eingebunden?

        1. Charles, glaubst Du wirklich … ;-). Aber Du bringst mich tatsächlich auf eine Idee für ein Fortsetzungsprojekt 😎
          Nach meiner Kenntnis gibt es bei der Monster 1200* keinen dedizierten Öl-Thermostaten. Der hängt also immer, d.h. bei wirklich allen Temperaturen im Ölstrom. Ich konnte allerdings weder im WHB noch in den Explosionszeichnungen des Ersatzteilkatalogs erkennen, ob im Haupt- oder im Nebenstrom. Dieses «Konzept» scheint über alle Modelle mit Testastretta-Motor gleich zu sein, gilt also auch für die 1098 und 1198.

          1. Schön, dass es mir gelungen ist Dich auf eine interessante Idee für ein Fortsetzungsprojekt 😎 zu bringen. Es könnte doch sein, dass die vermutlich positiven Auswirkungen mit einem dedizierten Öl-Thermostaten noch grösser sind als bei der Kühlflüssigkeit.
            Ich bin sehr gespannt und würde mich freuen hier von einem Fortsetzungsprojekt zu lesen.

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