Positionsgenaues Bohren im Modellbau stellt hohe Anforderungen an die Präzision der Ausführung.

Die Koordination zwischen Auge und Hand bei der Positionierung des Werkstücks mit einer Genauigkeit besser als 0.1 mm ist nicht trivial zu erreichen, wie ich bereits schmerzlich erfahren musste. Auch sehr sorgfältig und aufwändig durch vorhergehende Bearbeitungsschritte (z.B. durch Drehen, Feilen, Sägen, Löten etc.) vorbearbeitete Werkstücke können durch eine einzige fehlerhaft plazierte Bohrung innerhalb kürzester Zeit in Ausschuss verwandelt werden.
Meine Annäherung an positionsgenaues Bohren ist eine Geschichte der immer weiteren technischen und persönlichen Aufrüstung. Dabei ist das sachgerechte und zielführende Vorgehen beim Bohren in diversen Ausbildungsvorgaben einschlägiger Handwerksberufe eigentlich hinreichend klar beschrieben:
- anreissen
- körnen
- bohren
Trotzdem habe ich lange Zeit nur höchst unbefriedigende Ergebnisse erzielen können, bis bei mir endlich der Groschen gefallen ist.
Anreissen
Für das Anreissen in der benötigten Präzision von besser als einem Zehntel Millimeter kommt man mit handgeführter Reissnadel und Stahllineal nicht zum Ziel. Also habe ich einen digitalen Höhenreisser mit Anzeigepräzision von 0.01 mm angeschafft:

Als Anreissplatte verwende ich die 15 mm starke Glasplatte meines Schreibtischs. Evtl. Durchbiegung der Glasplatte sind äusserst gering, und fallen bei nur wenige Zentimeter grossen Bauteilen nicht ins Gewicht.
Die scharf geschliffene Kante des Anreissfingers erzeugt hauchfeine, präzise und kantenscharfe Risslinien, welche noch besser sichtbar sind, wenn die betroffene Metalloberfläche vorher mit einen Permanent Marker (z.B. Edding) farbig eingestrichen wurden. Da überwiegend mit Messing gearbeitet wird, ergibt ein blauer oder schwarzer Edding einen schönen und gut sichtbaren Kontrast. Auch «permanente» Einfärbungen können übrigens nach erfolgter Bohrung mit Aceton (u.a.: Nagellackentferner) mühelos und rückstandsfrei entfernt werden.
Körnen
Für das Körnen verwende(te) ich anfänglich den folgenden Automatikkörner, angeblich mit einstellbarer Schlagkraft (Ich konnte bisher allerdings keine Variation von Korntiefe oder -durchmesser auf MS58 feststellen):

Weil regelmässig bei meinen Versuchen bereits ein erheblicher Teil der beim Anreissen vorgelegten Präzision beim Körnen verloren ging, bin ich vom Körnen inzwischen abgekommen, und bevorzuge mittlerweile ein zunächst vorsichtiges, danach beherztes «Anbohren» mittels Zentrierbohrer:

Ein Zentrierbohrer bietet durch seinen relativ zum eigentlichen Bohrdurchmesser dicken Schaft und die sehr kurze Bohrspitze mit dem eigentlichen Nenndurchmesser eine hohe Biegesteifigkeit, so dass bei genügend steifer Bohrmaschine/Werkstückeinspannung eine Führung durch ein kleines Korn nicht erforderlich ist. In gewissem Umfang kann sogar eine ungenau plazierte zarte Anbohrung mit einem Zentrierbohrer noch seitlich versetzt werden. Insofern gerät eine derartige Korrektur bereits in den Bereich des Fräsens: rotierendes Werkzeug an dem das Werkstück linear vorbei geführt wird.
Präzisionsschraubstock
Natürlich kann man die oft nur wenige Millimeter grossen Bauteile, um die es beim Modellbau häufig geht, nicht mit den Fingern in der anhaltend hohen Positionsgenauigkeit besser als 0.1 mm unter dem Bohrer festhalten. Also wurde ein Präzisionsschraubstock mit allseitig geschliffenen und winkligen Flächen angeschafft, welcher durch seine glatten und parallelen Spannflächen auch die Bauteiloberflächen nicht beschädigt.

Bohrmaschine
Ich besass zwar schon drei Bohrmaschinen (Schlagbohrmaschine, Bohrhammer und Akkuschrauber). Jedoch waren diese sämtlich für den Modellbau ungeeignet. Eine Ständer- bzw. Säulenbohrmaschine musste her.
Zunächst habe ich, wegen des mechanischen, stufenlosen Getriebes zur Drehzahlwahl (ohne Riemenumlegen) und des Bohrbereichs bis ø 16 mm in Metall die Säulenbohrmaschine Scheppach DP18 Vario gekauft und installiert. Deren Pinole weist einen MK2 Morsekonus auf – darauf hatte ich bei der Wahl des zu kaufenden Modells extra geachtet und das sollte sich noch als nützlich erweisen. Auch die eingebaute Arbeitsfeldbeleuchtung mit zusätzlichem Kreuzlinienlaser(!) klangen vielversprechend. Insgesamt sehe ich die Wahl dieses Modell im Nachhinein aber als Fehlkauf an, aus Gründen, die nicht nur an der Maschine selbst liegen. Das Arbeitsfeld wird kurz vor dem entscheidenden Moment, wenn die Bohrerspitze auf das Werkstück trifft, durch das Bohrfutter abgeschattet. So erweisen sich sowohl die eingebaute Beleuchtung als auch der Kreuzlinienlaser für meine Zwecke als wertlos.
Einschub: etwas für die Augen!
Für die Verbesserung der Sicht auf das Werkstück habe ich also eine zusätzliche, mittels Magnetfuss positionierbare Maschinenleuchte mit Schwanenhals installiert. Meine Wahl fiel auf dieses formschöne Modell:

Ausschlaggebend für meine Wahl war natürlich nicht die Schönheit der Form, sondern die weitestgehend freie Positionier- und Ausrichtbarkeit mittels Schwanenhals, bei gleichzeitig hohem Lichtstrom von 1’500 Lumen.
Eine möglichst helle Ausleuchtung der Arbeitsfläche erlaubt es, dass die Augen mit enger Pupille (Entsprechend einer kleinen Blendenöffnung) arbeiten und dadurch die Schärfentiefe erhöht wird. Und wo ich schon dabei war mich persönlich aufzurüsten, habe ich mir auch noch eine extra Brille anmessen lassen, die ich nur beim Modellbau trage. Deren Schärfebereich liegt bei etwa 30 cm vor den Augen, was es mir erlaubt, (mit Schutzbrille!) dichter an den Ort des Geschehens zu gelangen. Dadurch entsteht ein grösseres Bild auf der Netzhaut, entsprechend einer Vergrösserung der «Auflösung». Ausserdem verbessert der relativ(!) verbreiterte Basisabstand beider Augen vom Objekt die Tiefenwahrnehmung und -unterscheidbarkeit.
Zurück zur Bohrmaschine:
Die Bohrmaschine war im Auslieferungszustand mit einem Schnellspann-Bohrfutter ausgerüstet, Spannbereich 1 – 16 mm, mittels eines B16 Kegels mit dem MK2 Aufnahmedorn verbunden. Als ich bei den ersten Bohrversuchen den Eindruck schlechten Rundlaufs hatte, habe ich mir das Bohrfutter einmal genauer angesehen und dachte, mich trifft der Schlag:




Die einzelnen Backen des ausgelieferten Bohrfutters erlaubten ohne Verdrehung (Nachspannen/Lösen) zwischen den obigen Aufnahmen ein axiales und radiales Spiel der Einzelbacken in der Grössenordnung von jeweils ca. 2 mm. Das habe ich natürlich sofort in die Altmetalltonne gefeuert, und lediglich für die nachträgliche Fotodokumentation nochmals von Spänen gereinigt.
In diesem Moment wurde mir bewusst, dass es erhebliche Qualitäts- (und Preis-) Unterschiede bei Bohrfuttern gibt. Für Qualitäts-Bohrfutter von namhaften Herstellern (z.B. Albrecht, Roehm) kann man annähernd den Gegenwert meiner kompletten Bohrmaschine auslegen. Die Sache drohte, finanziell aus dem Ruder zu laufen. 😧

Da ich bereits über zwei Bohrfutter mit MK2 Aufnahme für den Reitstock meiner Drehbank verfügte (siehe hier und hier), entschied ich mich gegen den Kauf eines dritten Bohrfutters mit weitgehend überlappenden Eigenschaften, welches möglicherweise nur marginal bessere Ergebnisse geliefert hätte. Denn die beiden im vorigen Satz verlinkten Bohrfutter von Paulimot gehören bereits deren «Professional» Serie an und weisen laut Anbieter ebenfalls eine Rundlaufgenauigkeit von 0.05 mm auf. Trotzdem weisen auch deren Spannbacken ein deutlich fühlbares Spiel auf, wenn auch wesentlich geringer als beim mit der Bohrmaschine ausgelieferten Bohrfutter.
Statt dessen kaufte ich für deutlich weniger Geld ein Spannzangenfutter mit zugehörigen Spannzangen und einer garantierten «Systemgenauigkeit» von 0.012 mm, und damit fast eine halbe Grössenordnung besser als die besten Bohrfutter von Markenherstellern (s.o.) mit zugesagten Rundlaufgenauigkeiten von 0.05 mm.

Der Preis der höheren erreichbaren Präzision wird durch Einbussen bei der Bequemlichkeit gezahlt: Ein Wechsel des Werkzeugdurchmessers erfordert nun ein Lösen und Abnehmen der Überwurfmutter mittels Spezialschlüssel bei gleichzeitigem Festhalten des Spannzangenfutters mit einem Engländer (Rollgabelschlüssel), Austausch der Spannzange gegen die neu benötigte, sowie Wiedereinbau und Festziehen der Überwurfmutter unter erneutem Werkzeugeinsatz. Verglichen mit einem schlichten Handgriff beim Schnellspannbohrfutter ist das deutlich aufwändiger. Aber: das Bewusstsein der höheren erzielbaren Präzision erfreut das Herz und tröstet über das Loch im Portemonnaie hinweg.
Drehzahl!
Trotz all dieser bisherigen Massnahmen konnte ich immer noch keine überzeugende Verbesserung in der Positionsgenauigkeit meiner Bohrversuche feststellen. Da ich sowohl Bohrer, Präzisionsschraubstock und auch das Messingmaterial von Modellbau Bengs bezogen hatte, wandte ich mich telefonisch an Herrn Bengs und schilderte mein Problem. Er fragte mich, welche Bohrmaschine ich denn verwende, und ich nannte ihm den Typ. Er schaute kurz nach und bemerkte dann dazu, dass die wohl «ziemlich gross» sei. Und bestätigte damit implizit meinen schon länger gehabten, jedoch unterdrückten Eindruck, dass ich wohl ein für Modellbauzwecke überdimensioniertes Modell gekauft hatte. Was die denn für eine maximale Drehzahl besitze? Ich nannte die spezifizierten 2’400 U/min, worauf er mir empfahl, gerade bei kleinen Bohrerdurchmessern die volle maximale Drehzahl auszunutzen.
An dieser Stelle erinnerte ich mich an die im Studium einmal gehörte, aber nie konkret benötigte optimale Schnittgeschwindigkeit bei der spanhebenden Bearbeitung von Werkstoffen. Schnell in meinem «Tabellenbuch Metall» nachgeschaut: für Messing liegt diese beim Bohren mit HSS Bohrern im Bereich zwischen 40 .. 60 m/min! Ein Bohrer mit ø 1.6 mm, wie ich ihn zum Vorbohren von M2 Gewinden häufig benötige, braucht somit eine Drehzahl zwischen 8’000 und 12’000 U/min. Autsch! Das schafft meine Scheppach bei Weitem nicht. Ausserdem rumpelt das stufenlose mechanische Getriebe bei ihrer Höchstdrehzahl von 2’400 U/min ganz ordentlich, und hinterlässt schon rein akustisch kein gutes Gefühl bei filigranen Arbeiten.
Was also tun? Ich schaute mich auf Aliexpress um und fand eine schicke, kleine Tischbohrmaschine, welche angeblich bis zu 16’000 U/min bot:

Weil eine der Produktabbildungen diese Tischbohrmaschine in Kombination mit einem separat zu erwerbenden kleinen Kreuztisch zeigte, und weil ich mit einem «richtigen» Kreuztisch am Bohrwerk/Fräse in der öffentlichen Metallwerkstatt «Meter», St. Gallen in Sachen Präzision bereits erfolgreich gearbeitet hatte, habe ich den Kreuztisch gleich mitbestellt. Kosten hierfür, inkl. Versand aus China: Tischbohrmaschine CHF 100.53, Kreuztisch: CHF 68.84.
Natürlich habe ich für den Preis nicht die Präzision schweizer oder deutscher Werkzeugmaschinen erwartet. Aber ich kann doch sagen, dass ich mit dieser Kombination und mit dem gebotenen Preis-Leistungsverhältnis extrem zufrieden bin. Die Bohrmaschine kam sorgfältig verpackt bei mir an, inkl. einem Paar Ersatzkohlen für den Motor, einem Ersatz-Riemen für den dreistufig mittels Riemen wählbaren Drehzahlbereich, ein paar Inbusschlüsseln und sogar zwei kleinen Spiralbohrern (davon allerdings einer bereits verrostet). In jeder Hinsicht wurde meine Erwartung übertroffen. Das Maschinchen scheint spielfrei zu sein, und wird von mir bis zum Durchmesserbereich von höchstens 3 bis 4 mm in Metall eingesetzt werden.
Der Kreuztisch war nicht ganz so perfekt ab Auslieferung, konnte aber mit kleinem Zeit- und Materialeinsatz derart «gepimpt» werden, dass er meine Zwecke nun ebenfalls sehr zufriedenstellend erfüllt. Ursache für die anfänglichen Mängel waren zu kleine Durchmesser der Mitnehmer, welche die Spindeldrehungen auf die Schlitten übertragen. Dadurch ergab sich zu Beginn ein fühlbares axiales Spiel in Spindelrichtung von jeweils ca. 0.15 mm. Aus einem Messing Reststück mit ø 15 mm konnte ich zwei stramm in ihre jeweilige Aufnahmebohrung passende neue Mitnehmer anfertigen, so dass nun kein Spiel mehr fühlbar ist. Die Schwalbenschwanzführungen der beiden Schlitten sind zudem einstellbar. Ich will den Kreuztisch auch nicht zum Fräsen (mit seitlichen Belastungen verbunden) verwenden, sondern nur zum exakten Positionieren von Werkstücken unter der Bohrerspitze. Lediglich die ursprüngliche Säule, ein verchromtes(?), geschweisstes und überschliffenes Rohr von ø 32 mm, 300 mm Länge und 1.75 mm Wandstärke liess für meinen Aufbau aus Kreuztisch und Präzisionsschraubstock zu wenig Arbeitsraum zwischen Bohrfutter-Unterkante und Schraubstock-Oberkante. Nach Austausch gegen ein Edelstahlrohr mit ø 32 mm, 590 mm Länge und 2.0 mm Wandstärke habe ich nun für alle absehbaren Bearbeitungen genügend «Luft nach oben»:


Insgesamt finde ich diese beiden Geräte wirklich top. Sie waren für mich der Durchbruch zum positionsgenauen Bohren. Nach einem langem und nicht ganz billigen Weg habe ich ein vorläufiges Ziel erreicht. Die Verbindungsachse der eingangs gezeigten beiden Bauteile habe ich damit bis auf 0.02 mm genau bohren können. Das Bohren hat damit für mich seinen Schrecken verloren. Den Kreuztisch habe ich auch schon auf meine grosse Scheppach montiert. Auch dort konnte ich eine sehr markante Verbesserung in der Positionsgenauigkeit registrieren.
Lessons learned
Positionsgenaues Bohren erfordert, dass sich Bohrerspitze und Werkstück möglichst exakt an der gewünschten Stelle treffen und diese Stellung zueinander auch während des Bohrvorgangs einhalten. Klingt trivial, enthält aber den Schlüssel zum Verständnis, jedenfalls meines.
- Es reicht nicht, nur den Bohrer immer exakter zu führen, wenn man das im Präzisionsschraubstock eingespannte Werkstück weiterhin von Hand positioniert.
- Die kegelige Bohrerspitze kann sich im Körnerpunkt nicht zentrieren, wenn der Durchmesser des Körnerpunkts kleiner ist als die Breite der Querschneide des Bohrers.
- Wenn man am Arbeitsplatz genügend Platz hat und auch tatsächlich aus zwei um 90° verschiedenen Richtungen Bohrerspitze und Risslinien anpeilen kann, und eine Korrektur in Bezug auf eine Achse keinen Fehler in Bezug auf die andere Achse bewirkt, ist die zentrale Fehlerquelle im Grunde eliminiert.
- Bohrfutter sollte man nicht «auf Vorrat» mit dem grösstmöglichen Spannbereich kaufen, sondern so, dass die häufigen Anwendungsfälle gerade eben abgedeckt werden. Man sollte nicht die Präzision bei häufigen Anwendungsfällen opfern, um seltene Fälle ebenfalls abzudecken. Falls der Spannbereich eines «kleinen» Bohrfutters einmal nicht ausreicht, lieber ein separates, grösseres Bohrfutter anschaffen. Hier sind dann Aufnahmen mit Morsekegel (MK) nützlich! Meine nicht repräsentative Beobachtung ist, dass kleinere Bohrfutter weniger Spiel aufweisen als grosse. Zudem eckt man bei beengten Verhältnissen mit einem grossen Bohrfutter schneller am eigenen Werkstück an.