Gegenspieler der Präzision

Wenn Präzision im Technischen Modellbau so eine tolle Sache ist, warum produziert sie dann nicht Jeder?

Wenig präzise 🙁 Bildquelle

Weil dem leider einige sehr mächtige Einflüsse entgegenstehen die nicht leicht zu überwinden sind.

Diese möchte ich einmal in die beiden Hauptgruppen

  • persönliche Einflüsse (um nicht zu sagen: Defizite)
    • physische
    • mentale
  • sachliche Hindernisse

gliedern.

Persönliche Defizite

Physische

Beim Modellbauen handelt es sich um eine anspruchsvolle Tätigkeit, die ein hohes Mass an Augen-Hand-Koordination erfordert. Aber auch die angemessen dosierte Reaktion auf taktiles Feedback hat z.B. beim Hantieren mit feinen Gewinden (M2) oder filigranen Werkzeugen in unterschiedlichen Werkstoffen (z.B. «weiches» Aluminium, «sprödes» Messing, «zäher» Edelstahl) einen hohen Stellenwert. Wenn man also zu den motorischen «Legasthenikern» gehört, wird man es schwer haben im Modellbau, wo es häufig um weniger als handtellergrosse, mehr oder weniger komplexe Funktionsmodell-Maschinchen geht. Was das angeht, fühle ich mich den Herausforderungen des Technischen Modellbaus durchaus gewachsen.

Meine Augen haben jedoch, mit inzwischen deutlich Ü60, sehr nennenswert nachgelassen, was sich besonders in der von mir bisher erzielten Präzision (bzw. dem Mangel davon) bei von Hand positionierten Bohrungen auf einer Säulenbohrmaschine manifestiert. Das ist zur Zeit mein grösstes Defizit. Positiv formuliert: die Disziplin, in der ich noch das grösste Verbesserungspotenzial zu heben habe. Dem «Bohren» werde ich deshalb zu einem späteren Zeitpunkt einen separaten Artikel auf diesem Blog widmen.

Und dann darf man nicht ausser Acht lassen, dass auch eine «ruhige Hand» nahezu unverzichtbar ist. Paradoxerweise ist dies bei der Bedienung von Maschinen (Bohr-, Dreh- oder Fräsmaschinern) weniger kritisch als bei handgeführten Bearbeitungsschritten, wie z.B. dem Löten mit Flammeinwirkung.

Mentale

Die persönlichen Defizite im Sinne präzisen Modellbaus können aber nicht nur körperlicher Art sein, sondern durchaus auch mentaler Art. Das sprichwörtliche «Fünfe gerade sein lassen» führt im Technischen Modellbau geradewegs zum Scheitern. Und dann sollte man auch nicht unterschätzen, was mangelndes Wissen(!) über zweckmässiges Vorgehen bei den diversen Fertigungstechniken und Materialien mit stark unterschiedlichen Eigenschaften ausmachen kann.

Darüberhinaus empfiehlt es sich nicht, «mal eben», unter Zeitdruck, etwas bohren, fräsen, absägen etc. zu wollen. Eben alle Tätigkeiten, die irreversible Veränderungen am Werkstück bewirken. Ich muss hier an eine Passage aus Robert M. Pirsigs Klassiker «Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten» denken, in der der Protagonist eine holperig übersetzte Zusammenbauanleitung für japanische Fahrräder zitiert, welche wie folgt eingeleitet wird: «Die Montage japanischer Fahrräder erfordert grossen Seelenfrieden».

An dieser Stelle ausnahmsweise einmal ein längeres, wörtliches Zitat aus den oben verlinkten Buch:

»Ich wollte nur sagen«, fange ich nochmal an, als ich mich endlich durchsetzen kann, »daß ich zu Hause eine Anleitung habe, die ungeahnte Möglichkeiten zur Verbesserung technischer Texte erschließt. Sie beginnt mit den Worten: ›Die Montage japanischer Fahrräder erfordert großen Seelenfrieden.‹«

Erneutes Gelächter, aber Sylvia und Gennie und der Bildhauer sehen mich ernst und verstehend an. »Das ist eine gute Anleitung«, sagt der Bildhauer. Auch Gennie nickt.

»Deswegen habe ich sie auch aufgehoben«, sage ich. »Zuerst hab› ich lachen müssen, weil ich mich an die Fahrräder erinnerte, die ich selbst zusammengebaut habe, und natürlich wegen des
unfreiwilligen Seitenhiebs auf die Qualität japanischer Produkte. Aber in diesem Satz steckt viel Weisheit.«

John sieht mich besorgt an, ich sehe ihn mit gleicher Besorgnis an. Wir müssen beide lachen. Er sagt: »Der Herr Professor wird das jetzt näher erläutern.«

»Seelenfrieden ist genaugenommen überhaupt nichts Oberflächliches«, erläutere ich. »Es ist das einzige, was zählt. Was ihn fördert, ist gute Mechanikerarbeit; was ihn stört, ist schlechte
Mechanikerarbeit. Was wir als die Brauchbarkeit einer Maschine bezeichnen, ist nur eine Objektivierung dieses Seelenfriedens. Der letzte Prüfstein ist immer unsere eigene Gemütsruhe. Wenn man die nicht hat, wenn man beginnt, und sie sich nicht während der Arbeit
bewahrt, dann läuft man Gefahr, seine eigenen persönlichen Probleme buchstäblich in die Maschine einzubauen.«

Sie sehen mich nur schweigend an, nachdenklich.
»Das ist eine recht unkonventionelle Vorstellung«, sage ich, »aber konventionelle Vernunft bestätigt sie. Der materielle Gegenstand der Beobachtung, das Fahrrad oder der Grill, kann nicht richtig oder falsch sein. Moleküle sind Moleküle. Sie haben keine ethischen Grundsätze, an die sie sich halten können, außer denen, die die Menschen ihnen geben. Der Prüfstein für die Maschine ist die Zufriedenheit, die sie einem verschafft. Einen anderen Test gibt es nicht. Wenn die Maschine Seelenruhe bewirkt, ist sie richtig. Wenn sie einen unruhig macht, ist sie so lange falsch, bis entweder sie geändert wird oder unsere Geisteshaltung sich ändert. Der
Prüfstein für die Maschine ist immer die eigene Geisteshaltung. Einen anderen Test gibt es nicht.«

»Und was«, fragt DeWeese, »wenn die Maschine falsch ist und ich trotzdem ruhig bleibe?«

Gelächter.

Ich antworte: »Das ist ein Widerspruch in sich. Wenn sie Ihnen wirklich gleichgültig ist, können Sie gar nicht wissen, daß sie falsch ist. Der Gedanke kommt Ihnen gar nicht. Wenn man etwas als falsch bezeichnet, gibt man damit zu erkennen, daß es einem nicht gleichgültig ist.«

Quelle, Seite 173

Sachliche Hindernisse

Zu den sachlichen Hindernissen auf dem Weg zu erfolgreichem und präzisem Modellbau zähle ich, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

  • schlechtes, bzw. für eine Aufgabe unangemessenes Werkzeug oder Material
  • ein unaufgeräumter oder zu beengter Arbeitsplatz
  • schlechte Beleuchtung(!)

Dabei gibt es – manchmal nicht ganz offensichtliche – Überschneidungen mit dem Bereich «persönliche Defizite». Die Frage, ob ein Arbeitsplatz aufgeräumt ist oder nicht, hat auch etwas mit der persönlichen Einstellung zu tun. Und auch eine schlechte Beleuchtung lässt sich mit i.d.R. massvollem Einsatz finanzieller Mittel an den entscheidenden Stellen signifikant verbessern. Es ist halt eine Frage der – auch finanziellen – Prioritäten, die man seinem Hobby einräumt.

Mit diesen eher philosophischen Betrachtungen möchte ich die einleitenden Bemerkungen in die Rubrik «Modellbau» beschliessen. Ab jetzt gibt es nur noch Berichte direkt von der Werkbank – versprochen.

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