Neulich verfolgte ich von Spielfeldrand aus eine – wie ich fand – unterkomplex verlaufende Diskussion in einem deutschsprachigen Forum für Liebhaber und Fahrer von Ducati Motorrädern mit Zentralfederbein.

Es ging um die korrekte Einstellung des Zentralfederbeins, einschliesslich der Veränderungen von Federvorspannung und Federrate (durch Austausch der Feder). Das hat mich inspiriert, den folgenden Beitrag zu verfassen:
Ich steige in ein derartiges Thema immer gerne ein über einen sorgfältigen Blick auf die kinematischen Verhältnisse, also auf Lage und Abstand relevanter Gelenke, sowie auf Größe und Wirkungsrichtung von Kräften. Dieses «scharfe Hinschauen» liefert nach meiner Erfahrung zuverlässig den Schlüssel für das Verständnis der Zusammenhänge.
Die kinematisch relevanten Abmessungen der Schwinge sind in der folgenden Grafik als weisses Dreieck eingezeichnet, mit den Eckpunkten:
- Schwingenachse
- Radachse
- Anlenkung des Federbeins.
Das Federbein ist an seinen beiden Endpunkten (=»Augen») durch je ein Drehgelenk mit dem Rest des Motorrads verbunden und bildet eine «Pendelstütze«. Eine Pendelstütze kann keine Momente übertragen, sondern nur Kräfte entlang ihrer Wirkungslinie (violett eingezeichnet), welche durch die Verbindungslinie der beiden «Augen» gegeben ist.
Die eingezeichneten Kraft-Vektoren, Hebelarme etc. dienen der Aufstellung des Momentengleichgewichts um die Schwingendrehachse:

Das Produkt aus Federkraft (grüner Pfeil) mal wirksamem* Hebelarm der Anlenkung des Federbeins an der Schwinge (grüne Linie) muss entgegengesetzt gleich sein zum Produkt aus Radlast des Hinterrads (roter Pfeil) mal wirksamem* Hebelarm der Radlast an der Schwinge (roteLinie).
*: «wirksam» sind Hebelarme genau dann, wenn sie exakt senkrecht zur wirkenden Kraft und durch die Drehachse verlaufen.
Man kann aus der o.a. Skizze ablesen, daß es aufgrund der ungleichen Hebellängen ein Übersetzungsverhältnis gibt zwischen den jeweiligen Hebelarmen von Radlast und der Kraft des Federbeins. Dieses ist, je nach momentanem Einfederweg, innerhalb sehr enger Grenzen variabel und liegt für eine Ducati Monster 1200S (Bj. 2014-16) bei etwa 2,5 : 1.
Die Kraft der Feder ist 2,5 mal so groß wie die Kraft an der Hinterachse. Dafür ist der Weg der Hinterachse 2,5 mal so groß wie der Weg (Kompression) des Federfußpunkts.
Federkennwerte :
Die serienmäßig verbaute Feder meiner Monster 1200S, Bj. 2015 trägt den Aufdruck: 01092-41/115

Diese Angaben kodieren die folgende Information über die Feder:
- ungespannte Länge: 170 mm
- Federrate: 115 N/mm
Weitere Messwerte:
Die Radlasten vorne und hinten (bei unbekanntem Tankinhalt) habe ich mithilfe eines hydraulischen Werkstattkrans und einer Personenwaage wie folgt ermittelt: Rad anheben – Waage unterschieben – Rad absenken – ablesen:

Für die Kompression der Feder des Zentralfederbeins ist nur der Anteil der «gefederten Massen» an der Radlast relevant, welcher sich von oben gegen das Federbein abstützt. Im Gegensatz dazu stehen die «ungefederten Massen«, welche sich unterhalb des Federbeins befinden und direkt auf dem Asphalt aufstehen. Letztere steuern keinen Beitrag zur Kompression des Federbeins bei.
Zu den «ungefederten Massen» am Hinterrad einer Ducati Monster 1200S tragen bemerkenswert viele Bauteile bei:
- Felge (in diversen Foren mit ca. 5 kg angegeben)
- Reifen (Bridgestone S21, neu ca. 7 kg)
- Radnabe/Hinterachse, Radmutter
- Kettenradträger, Kettenrad und Muttern
- Kennzeichenträger, Kennzeichen plus Beleuchtung
- Bremsscheibe, Bremszangenträger und Bremszange hinten
- Anteile von Kette und Schwinge
Da ich das Heck des Motorrads ohnehin mit einem Kran angehoben hatte, …

… habe ich für die Ermittlung der ungefederten Massen in einer separaten Messung – ganz pragmatisch – das untere Federbeinauge von der Schwinge gelöst, und dann gewogen, wie schwer das nun freie Hinterrad (mit Anbauteilen) bei in etwa horizontaler Schwinge auf die Waage drückt:
Es sind schier unglaubliche 26 (in Worten: sechsundzwanzig) kg an ungefederten Massen!
Damit stellen sich die Zusammenhänge aus Sicht der Feder wie folgt dar:

Die diagonale Linie durch den Ursprung der Koordinatenachsen stellt die Federkennlinie dar, z.B. für eine Federrate von 115 N/mm (Serie). Eine härtere Feder würde durch eine steilere Linie abgebildet, eine weichere Feder durch eine flachere Linie.
Zustand 1: die Schwinge ist komplett ausgefedert (Hinterrad in der Luft). Die Federlänge habe ich zu 161 mm gemessen, entsprechend einem Vorspannweg s1 = 9 mm. Die Vorspannkraft F1 beträgt:
Vorspannweg s1 mal Federrate c.
Also z.B. 9 mm * 115 N/mm = 1035 N.
Die vorgespannte Feder stützt sich in diesem Zustand gegen einen internen mechanischen Anschlag im Federbein ab. Solange das Federbein mit einer geringeren axialen Kraft als F1 beaufschlagt wird, ändert sich die Länge des Federbeins nicht im Geringsten. Erst wenn die von aussen auf das Federbein wirkende Kraft größer als die Vorspannkraft wird, kommt es zu einer zusätzlichen Kompression der Feder, entsprechend dem Beginn der sichtbaren Einfederung des Hinterrads, welche exakt der Federkennlinie folgt. (Zustände zwischen «1» und «2»).
Zustand 2: Das Motorrad steht mit seinem vollen Eigengewicht auf beiden Rädern, ohne zusätzliche vertikale Abstützung. Nur die gefederten Massen bewirken eine über den Vorspannweg hinausgehende Kompression der Feder, bis auf den Gesamtwert s2 = 17 mm. (Gemessene Federlänge = 153 mm).
Die Federkraft F2 in diesem Zustand beträgt:
17 mm * 115 N/mm = 1955 N.
Eine Federkraft von 1955 N gegen die Schwinge bewirkt über das Übersetzungsverhältnis (s.o.) von 1 : 2,5 eine Kraft an der Hinterachse von 1955 N / 2,5 = 782 N.
Und 782 N ist die Gewichtskraft, die unter dem Einfluss der Erdbeschleunigung von einer Masse von 782 / 9,81 = 79,7 kg bewirkt wird.
Diese 79,7 kg weichen nur um 1,6% von der tatsächlich durch Wägung ermittelten «gefederten Masse» von 81 kg ab. Eine sehr schöne Übereinstimmung, welche völlig im Rahmen von Mess(un)genauigkeiten und/oder der Annahme einer kleinen Setzung der ursprünglich 170 mm langen Feder liegt.
=8-)
Zustand 3 markiert Federkraft und Federweg beim Aufsitzen eines mehr oder weniger schweren Fahrers. Das Verhältnis aus Federkraft / Gesamt-Federweg ist dabei konstant und folgt immer der Federkennlinie, unabhängig vom Fahrergewicht.
Nach dieser erfreulich erfolgreichen Analyse werde ich in der Fortsetzung dieses Artikels zur Synthese übergehen und einige häufig gestellte Fragen beleuchten.